Jüdisches Fürstenwalde

Foto Kaufhaus Fürst

Jüdisches Fürstenwalde

Die ersten urkundlichen Erwähnungen von jüdischen Bewohner*innen in den Gebieten östlich der Elbe datieren ins 13. Jahrhundert und fallen somit in die späte Phase des hoch­mittelalterlichen Landesausbaus und der askanischen Herrschaft in der Mark Branden­burg. Denkbar, jedoch nicht be­wiesen, ist der Zuzug von Juden aus dem Rheinland nach den religiösen Verfol­gung­en während des ersten Kreuzzugs bereits 1096. Aus dem Jahr 1379 stammt die erste schriftliche Erwähnung eines Juden namens David, der in Fürsten­walde zum Tode auf einem Scheiterhaufen verurteilt wurde.

Das jüdische Leben in den märkischen Städten war durch landesherrliche Gesetze und „Ju­den­ordnungen“ bestimmt und von den Inte­ressen des Königs, des Kurfürsten, des Stadt­rates und der Zünfte abhängig. In den von Christen dominierten städtischen Gemein­den standen die Jüdinnen und Juden oft Ab­lehnung, Ausgrenzung und nicht zuletzt Verfol­gung und Gewalt gegenüber.

Jüdischer Friedhof in Fürstenwalde/Spree
In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde der Fürstenwalder Jüdische Friedhof ein­schließ­lich der Trauerhalle geschändet und zerstört. Einige wenige erhaltene Grabsteine (hebräisch: Mazewot) stehen nicht mehr an ihren Originalplätzen. Der Ort ist seit 1988 eine Gedenkstätte.

1571 wurden alle ansässigen Jüdinnen und Juden aus der Mark Brandenburg vertrie­ben. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahr­hunderts erlaubten die Landes­herren die erneute An­sied­lung von jüdischen Familien und stellten für diese Schutzbriefe aus. Nach Fürsten­walde kamen Jüdinnen und Juden erst etwa in der Mitte des 18. Jahr­hun­derts zurück. Der Stadtrat versprach sich hiervon die Belebung der schlechten wirtschaftlichen Lage der Stadt und stellte die vier zugezogenen Familien unter Schutz. Aus dem Jahr 1746 stammt der älteste Grabstein vom alten Jüdischen Friedhof, der sich am „Neuen Tor“ außer­halb der Stadt­mauer befand. Der neue Friedhof in der Frank­furter Straße, Ecke Grünstraße entstand 1829.

Die Jüdische Gemeinde in Fürstenwalde

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohnten etwa 50 Jüdinnen und Juden in der Stadt. Zunächst gehörten sie der Jü­dischen Gemeinde in Frankfurt (Oder) an, eine auto­nome Ge­meinde bestand seit 1879. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Fürstenwalde etwa 100 Menschen jüdischen Glaubens. Das religiöse Leben konzentrierte sich um die Synagoge in der Frank­furter Straße. Der Kauf­mann Julius Meseritzer hatte 1870 dafür ein Wohnhaus umbauen lassen. Die Gemeinde leistete sich einen Kantor und gleichzeitig Schächter, jedoch keinen Rabbiner.

Im Jahr 1873 gründete der jüdische Päda­goge Markus Reich in der Neuendorfer Straße 5 in Fürstenwalde eine Ausbildungs­stätte für gehörlose jüdische Kinder, die „Israe­litische Taub­stummen­anstalt“ (ITA). Diese Einrichtung war die einzige dieser Art im gesamten Deut­schen Reich, die Schulpflicht für taub­stumme und blinde Kinder wurde erst 1911 eingeführt. Die durch einen Verein getragene Anstalt ermöglichte den Kindern und Jugend­lichen eine Grundausbildung, aber auch eine Berufs­ausbildung und Existenz­gründung. Der Bedarf an Ausbildungs­plätzen war so hoch, dass die ITA bereits 1888 in ein größeres Gebäude mit einem großzügige­ren Grund­stück nach Berlin-Weißensee umziehen musste.

Kaufhaus Flatauer in Fürstenwalde/Spree
Der jüdische Kaufmann Otto Flatauer eröffnete 1913 sein großes Kaufhaus im Zentrum von Fürstenwalde. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das gesamte Stadtquartier in Brand gesteckt und zerstört. Heute befindet sich an der Stelle das Amtsgericht.

Anfang des 20. Jahrhunderts lebten in Fürsten­walde inmitten der Stadtgemeinde ca. 150 bis 160 jüdische Bürger*innen. Sie arbeiteten als Ärzt*innen, Zahnärzt*innen, Anwält*innen, Fotograf*innen, saßen im Stadtrat, wie der langjährige Vorsitzende der jüdischen Ge­mein­de Hermann Casper, führten Branchen­geschäfte und Kaufhäuser. Auf und um den Marktplatz konnte man in den Kauf­häusern der Familien Marcuse, Fürst, Brandt, Gottfeld oder Flatauer – mit dem ersten Fahrstuhl in der Stadt – ein­kaufen. In den Fürstenwalder Ein­kaufsstraßen gab es 32 weitere jüdische Ge­schäfte. Die am Spreeufer gelegene Maschi­nenfabrik und Eisen­gießerei Henry Hall ge­hörte der jüdischen Familie Behrendt. Höchst­wahrscheinlich wurden jüdische Arbei­ter*in­nen in den „Gebrüder Pintsch Werken“ beschäf­tigt. Der Chemiker und Erfin­der Dr. Hans Klopstock arbeitete in der Filiale der „Deutsche Kabelwerke AG“ in Ketschen­dorf (heute Fürstenwalde Süd), gegründet von der Berliner jüdischen Unter­nehmer­familie Hirschmann.

Die jüdische Gemeinde erweiterte 1928 den Friedhof und weihte feierlich und unter öffent­licher Anteilnahme die Trauerhalle ein. Es gibt unbestätigte Hinweise auf die Existenz einer Mikwa – eines Ritualbades – in der Frankfurter Straße. Zur Fürstenwalder Synagoge gehörten außer der städtischen Gemeinde weitere acht Gemeinden aus Alt-Madlitz, Beeskow, Berken­brück, Briesen, Demnitz, Hangelsberg, Neu­endorf im Sande und Bad Saarow.

In Neuendorf im Sande existierte zudem seit 1932 ein landwirtschaftliches und hand­werk­liches Ausbildungslager, in dem sich jüdische Jugendliche und junge Erwach­sene auf die Auswanderung vorwiegend nach Palästina vorbereiteten. In dem Hachschara-Lager lebten bis 1941 etwa 200 junge Menschen.

Hass und Vernichtung

Nach der Machtübernahme durch die Nati­onal­sozialisten 1933 änderte sich die Situation durch den zunehmenden Hass und die De­müti­gungen gravierend. Viele Familien ver­ließen die Stadt. Während der Pogrome um den 9. November 1938 zer­schlugen und plün­der­ten die Faschisten mutwillig die meisten Geschäfte, setzten die Synagoge in Brand und schändeten und zerstörten den Friedhof mit der Trauer­halle. Zahlreiche männliche Juden kamen in „Schutzhaft“, die meisten in das Konzentrations­lager Sachsen­hausen. Kurz vor dem Kriegs­ausbruch 1939 wohnten noch lediglich 26 Jüdinnen und Juden in Fürsten­walde. 1941 wurden die letzten jüdischen Stadtbewohner*innen, die nicht durch eine sogenannte „Mischehe“ geschützt waren, in den Tod deportiert.

Ansprache eines NSDAP-Mitgliedes in Fürstenwalde/Spree
Im Jahr 1937 wurde das Neue Rathaus in Fürsten­walde eingeweiht. Im Vordergrund auf dem Podest der Bürgermeister der Jahre 1934 bis 1945 und Mitglied der NSDAP Paul Gottsleben. Rechts im Hintergrund das Geschäft der jüdischen Familie Heilbut.

Das Landwerk Neuendorf wandelten die Nationalsozialisten 1941 in ein Zwangs­arbeits­lager um, in dem Jugendliche aus unter­schied­lichen deutschen Hachschara-Lagern inhaftiert waren. Die bekanntesten hier inhaftierten Zwangs­arbei­ter*in­nen, die in Fürstenwalde in einem Blumengeschäft oder auf dem Friedhof arbeiteten, waren die Musikerin Esther Bejarano und der Quizmaster Hans Rosenthal. Bis 1943 wurden alle Häftlinge in das Konzen­trationslager Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet.

Nach 1945 entstand keine neue jüdische Gemeinde in Fürstenwalde. Das Landgut in Neuendorf im Sande wird heute von dem Projekt ZuSaNe e.V. betrieben, das sich mit der Gedenkstättenarbeit dafür einsetzt, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.

Text: Justyna Gralak