Die historische Recherche nach Opfern des nationalsozialistischen Regimes läuft sehr oft ins Leere. Das verbrecherische System war in der Hinsicht perfektioniert, die Spuren der Deportierten und Ermordeten zu verwischen und auszulöschen. Desto größer ist die Freude, wenn durch einen Zufall mühsam zusammengefügte Puzzleteile plötzlich ein Bild ergeben – Namen, Menschen und ihre Geschichte ans Licht bringen.
Gabi Moser von der Arbeitsgruppe Stolpersteine verbringt oft ihre Freizeit mit der Suche nach Lebenszeugnissen der ehemaligen jüdischen Einwohner*innen von Fürstenwalde. Schon lange standen die Familien von Luise und Walter Brandt sowie von Rose und Richard Behrendt im Fokus ihres Interesses. Rose und Walter waren Geschwister, ihre Familien eng befreundet. Beiden Familien gelang 1934 die Flucht aus Deutschland. Bis Ende 1933 lebten Rose und Richard Behrendt mit ihren drei Kindern Richard Fritz („Rix“), Ludwig („Lutz“) und Renate („Nati“) in einem der ältesten Häuser Fürstenwaldes, im „Haus Schwan“ in der damaligen Promenadenstraße (heute die Dr.-Wilhelm-Külz-Straße 43). Richard war Geschäftsführer der an der Spree gelegenen Maschinenfabrik und Eisengießerei „Henry Hall“. Die Familienzweige Behrendt und Brandt verloren nach der Flucht den Kontakt zueinander. Zudem wurde in beiden Familien nie über das frühere Leben in Deutschland und die Flucht gesprochen.
Während mit den in Neuseeland lebenden Nachfahren von Walter und Luise bereits Kontakt besteht, war über die Wege der Familie Behrendt nur wenig bekannt. Sicher war, dass der älteste Sohn Richard Fritz 1933, unmittelbar nach der Machtübernahme durch die NSDAP in die Schweiz emigrierte – er lehrte später als Professor u.a. an der FU Berlin und war ein bekannter Entwicklungssoziologe und Lateinamerika-Experte. Ludwig soll wiederum Ende Dezember 1935 mit seiner frisch vermählten Frau Kucki über Paris nach Brasilien gegangen sein. Unterschiedliche Dokumente belegen sowohl die Hochzeit in Paris als auch die weitere Reise 1947 – mittlerweile mit einer kleinen Tochter – von Brasilien in die USA ist dokumentarisch belegt. Eine Kontaktaufnahme mit den Nachfahren von Ludwig ist jedoch nicht gelungen.
Über Renate Behrendt war bekannt, dass sie drei Kinder hatte und in Israel lebte. Dies ging aus den Erzählungen der Nachfahren der Brandts in Neuseeland und aus einem Briefwechsel zwischen Luise Brandt und Renate Behrendt aus dem Jahr 1961. Es war anzunehmen, dass Nachfahren von Renate möglicherweise weiterhin in Israel leben. Es war jedoch sehr unwahrscheinlich, sie jemals ausfindig machen zu können.
Und tatsächlich gelang dies nur durch einen Zufall. Durch einen neuen Rechercheweg auf einer weiteren Website für Familienforschung, stieß Gabi unerwartet auf einen Stammbaum, angelegt von Michael Lazarus aus Haifa (Israel), in dem die ihr bekannten Namen vorkamen. Alle Hinweise und Angaben stimmten überein und so schrieb sie Michael an. „Shalom“ schrieb er zurück und bestätigte, dass er der Sohn von Renate Behrendt sei. Ein Austausch von Informationen und Fotos folgte. Er berichtete von den Lebenswegen seiner Großeltern und seiner Mutter nach 1934. Gabi stellte wiederum einen Kontakt zu seinen Verwandten in Neuseeland her. Sie schickte ihm auch eine Kopie von „Fred’s Story“, in der Fritz Richnow, der älteste Sohn von Luise Brandt aus ihrer ersten Ehe, das Leben der beiden Familien in Fürstenwalde, die Geschichte der Flucht seiner Eltern und das Leben in Neuseeland festgehalten hatte.
Er erzählt darin, wie er in Fürstenwalde Fahrradfahren gelernt hat, er schrieb auf, wie mutig seine Mutter Luise sich für die Freilassung des 1933 ins KZ Sonnenburg verschleppten Richard Behrendt einsetzt hatte. Und wie sie alle danach fluchtartig Deutschland verlassen mussten. Auch der Abschiedsschmerz, als sich die Brandts und die Behrendts ein letztes Mal 1934 in London trafen, wird in seiner Erzählung deutlich. Michael Lazarus äußerte die Absicht, in nächster Zeit nach Fürstenwalde zu kommen, um die Heimatstadt seiner Vorfahren kennenzulernen.